„Aufstand mit Schirm“ so haben wir diesen Salon überschrieben, und das aus gutem Grund, denn in dieser Ausgabe geht es um einen Regenschirm, eine Revolutionärin und um eine Reise. - Eine Reise in die Vergangenheit der Stadt Frankfurt im Jahr 1848, in dem am 18. Mai die ersten frei gewählten Volksvertreter zu ihrer ersten Sitzung in der Paulskirche zusammenkamen. Und in dem schon wenige Monate später - im September - die anfängliche Begeisterung ins Wanken geriet, es zu zahlreichen Barrikadenkämpfen und zum Sturm auf die Paulskirche kam. Und auch wenn es die Heldengeschichten von damals anders vermuten lassen –waren auch zahlreiche Frauen involviert. Eine von ihnen war Henriette Zobel, die als schirmschwingende Furie in die Geschichtsbücher einging…
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Dazu reisen wir in diesem Salon Frankfurt zurück in die Zeit um 1848. Mit Blick auf das politische Geschehen in Deutschland, spielte die freie Stadt Frankfurt Mitte des 19. Jahrhunderts eine zentrale Rolle. In der Paulskirche rangen Abgeordnete aus dem gesamten Reich um eine politische Lösung für Deutschland.  Am 18. Mai 1848 fand dort die erste deutsche Nationalversammlung statt. Zum ersten Mal kamen die 587 gewählten Abgeordneten aus allen Gebieten des Deutschen Bundes in die Paulskirche, um über eine freiheitliche Verfassung und die Bildung eines Nationalstaates zu beraten. Die Sitzungen und Entscheidungen des Parlaments sollten transparent und öffentlich sein. 
Politik war zu dieser Zeit eine reine Männerdomäne. Es sollte noch 70 Jahre dauern, bis es Frauen in Deutschland per Gesetz erlaubt war, an Wahlen teilzunehmen. Und doch war diese erste deutsche Nationalversammlung für die Geschichte der Emanzipation von großer Bedeutung, denn damals haben viele Frauen zum ersten Mal ihr politisches Interesse entdeckt. Die Paulskirche galt bereits als ausgesprochen fortschrittlich, denn es gab dort eine sogenannte „Damengalerie“, die immerhin 200 Plätze anbot. Diese waren sehr gefragt und entsprechend belegt. Viele der Zuschauerinnen sollen vor allem der Linken nahegestanden und sich mitunter lauthals in die Diskussionen der Männer eingemischt haben. 

Für viele dieser Frauen wurde die Revolution zu einer Art Sprungbrett  


Sie gab ihnen nicht nur die Möglichkeit, sich politisch zu bilden, sondern auch aus der ihnen zugewiesenen Sphäre, Küche und Familie auszubrechen. Eine von ihnen war Henriette Zobel.  Dass sie als Revolutionärin und Fürstenmörderin in die Frankfurter Geschichte eingehen würde, hätte sie selbst vermutlich nicht gedacht und es war ihr auch nicht in die Wiege gelegt worden. 1813 geboren, wuchs sie als Tochter des Bäckers Tobias Pfaff, als ältestes von fünf Kindern, in einfachen Verhältnissen in Oberrad und Offenbach auf. Politisch interessiert war sie schon früh und so saß sie regelmäßig als Zuschauerin auf der Galerie, wenn die Nationalversammlung tagte. 

Von der Einführung einer parlamentarischen Demokratie und eines geeinten Nationalstaates unter einheitlicher und frei gewählter Führung hatte sie sich gemeinsam mit vielen anderen nicht nur Grund- und Freiheitsrechte versprochen, sondern auch eine konkrete Verbesserung ihrer persönlichen Lebensumstände.  

Am 18. September entlud sich die Wut der revolutionären Kräfte in Aufständen rund um die Paulskirche. In dieser Situation unternahmen die preußisch konservativen Abgeordneten General Hans von Auerswald und Fürst Felix von Lichnowsky einen verhängnisvollen Erkundungsritt durch die Stadt. Schnell wurden sie erkannt und von einer wütenden Menschenmenge verfolgt und mit Steinen beworfen. Am Ende waren beide Politiker tot und Henriette Zobel wurde verhaftet und angeklagt.  

Das vermeintliche Corpus delicti? – Ein Regenschirm!  


Mehrere Zeugen gaben an beobachtet zu haben, wie Henriette Zobel mit einem Schirm auf den Kopf des General Auerswald einschlug und dass sie ihm einen großen Stein an den Kopf geworfen habe. Dem Fürsten Lichnowsky soll sie mit ihrem Schirm in den Rücken gestochen haben. Das mit dem Regenschirm räumte sie später vor Gericht ein, beteuerte aber immer wieder, sie habe keinen Stein in die Hand genommen. 1853 wurde Henriette Zobel trotzdem zu sechzehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach ihrer Entlassung verlor sich ihre Spur. 

Wir begeben uns auf eine Spurensuche in Frankfurt und versuchen anhand von Briefen und Gerichtsakten zu verstehen, was Henriette Zobel damals bewegt und angetrieben hat und warum an ihr ein Exempel statuiert wurde. Dass das unruhige 19. Jahrhundert, in dem in ganz Europa Revolutionen ausbrachen und niedergeschlagen wurden, auch zahlreiche Schriftsteller*innen und Komponist*innen beeinflusst hat, liegt auf der Hand. Was die einen zum Straßenkampf anregte, inspirierte andere zu neuen Schriften und Musik. 

Komponisten haben Stücke komponiert, um die Revolution auf ihre Weise zu verarbeiten und zu unterstützen 


Unter ihnen Frédéric Chopin und Robert Schumann. Der französische Komponist soll der Legende nach seine "Revolutionsetüde" - die letzte seiner Etüden op.10 1830 voller Wut in Wien geschrieben haben, nachdem er von der blutigen Niederschlagung der polnischen Revolution durch den russischen Zaren erfuhr. Und auch Schumann machte aus seiner demokratischen Einstellung kein Geheimnis. Er verarbeitete die Zeit um 1849, als Anfang Mai die Welle der europäischen Revolutionen auch Dresden erreichte, in seinen vier Märschen für Klavier op. 76.

Und wer hat diese Zeit literarisch und satirisch aufgespießt und wie kaum ein anderer auf den Punkt gebracht? Der Frankfurter Journalist, Dichter und Schriftsteller Friedrich Stoltze. Kritisch begleitete und kommentierte er das Geschehen in Politik und Gesellschaft. Er war beim Hambacher Fest und beobachtete die erste Nationalversammlung in der Paulskirche. Stoltze kommt bei uns heute Abend genauso zu Wort, wie andere Wegbegleiter*innen und natürlich immer wieder: Henriette Zobel. 

Ihr Regenschirm erinnert bis heute an ihre Geschichte und an eine bewegte Zeit 


Der berühmte Schirm von Henriette Zobel, der im Historischen Museum Frankfurt ausgestellt wird, ist unser Ausgangspunkt heute Abend. Er steht für Revolution und Emanzipation, für Wut und Verzweiflung, für die Hoffnung auf bessere Zeiten und die Enttäuschung darüber, dass diese nicht wahr wurden. Was aus dieser Epoche geblieben ist und welche Bedeutung Empörung und Aufstände, aber auch der politische Aufbruch der Frauen, bis heute für die Frankfurter Stadtgeschichte, Politik und Gesellschaft haben, auch darum geht es im sechsten Salon Frankfurt „Aufstand mit Schirm“.

Gespräch mit Dr. Dorothee Linnemann, Historischen Museum Frankfurt

Wie ein Regenschirm ins Historische Museum Frankfurt kam…

…wie seine Besitzerin in die Frankfurter Geschichtsbücher einging und warum trotzdem so wenig über Henriette Zobel und andere Revolutionärinnen bekannt ist, all das und vieles mehr habe ich die Historikerin und Ausstellungskuratorin am Historischen Museum Frankfurt, Dr. Dorothee Linnemann, gefragt…

„Mit einem Stein das habe ich nicht getan, mit einem Regenschirm das will ich nicht in Abrede stellen…“

Fünf Jahre lang wurde Henriette Zobel der Prozess gemacht. Während dieser Zeit hat sie stets ihre Unschuld am Tod der beiden Politiker, Auerswald und Lichnowsky beteuert: „(…) mit einem Stein das habe ich nicht getan, mit einem Regenschirm das will ich nicht in Abrede stellen (…).“ - So wird sie in den Gerichtsakten zitiert. Nach ihrer Verhaftung wurde Henriette Zobel im Gefängnis 15 Jahre zum Schweigen gebracht. Dazu passt dieser stumme melancholische Gesang, die Vocalise von Sergej Rachmaninow, die bei uns Claire Huangci und Tristan Cornut spielen…

Helge Heynold liest Louise Otto-Peters

„Die Freiheit ist unteilbar“

Davon war Luise Otto-Peters ihr Leben lang überzeugt. Als Schriftstellerin, Dichterin, Journalistin, Demokratin, 1848er-Revolutionärin und Gründerin der bürgerlichen deutschen Frauenbewegung, empfand sie es als Schmach, dass Frauen auch im Jahr 1848 nach wie vor von politischen Versammlungen ausgeschlossen waren. - Denn für sie war zeitlebens klar: „Die Freiheit ist unteilbar“…

Auf einer Zeitreise durch Frankfurt

Mich hat interessiert, welche Orte in Frankfurt für Henriette Zobel und ihre Geschichte 1848 wichtig waren und ob man diese heute als solche erkennt. Dazu habe ich mich auf Spurensuche begeben, und zwar mit einem, der sich wie kaum ein zweiter in Frankfurt auskennt: Christian Setzepfandt. Wo wir uns getroffen haben? An dem Ort, an dem es für Henriette Zobel in Sachen Politikbegeisterung so richtig losging… 

Helge Heynold liest Friedrich Stoltze

Es is kaa Stadt uff der weite Welt, die so merr wie mei Frankfort gefällt…

Mutig und auf ihre Weise revolutionär waren auch die Geschwister Stoltze. Beide wurden schon früh im väterlichen Gasthof „Zum Rebstock“ in der Frankfurter Altstadt politisiert. Dort trafen sich die liberalen und demokratisch-republikanischen Oppositionellen. Während Anna Margaretha - genannt Annette - eine aktive Kämpferin wurde und als solche 1833 am Frankfurter Wachen Sturm beteiligt war, wurde aus ihrem Bruder Friedrich der bis heute bekannte Mundartdichter, Journalist und Schriftsteller. Kritisch begleitete und kommentierte er damals das Geschehen in Politik und Gesellschaft und schrieb darüber unter anderem in seiner Satirezeitschrift „Frankfurter Latern“. Stoltze selbst war beim Hambacher Fest und beobachtete die erste Nationalversammlung in der Paulskirche. In einem seiner zahlreichen Gedichte wendete er sich „An das deutsche Volk“…

Gespräch mit Claire Huangci

So klingt Revolution bei Frederic Chopin …

Nicht nur in Texten aller Art wurden damals Gedanken zu den politischen Geschehnissen zu Papier gebracht, auch Komponisten haben Stücke geschrieben, um die Revolutionsgeschehnisse auf ihre Weise zu verarbeiten und zu unterstützen. Unter ihnen auch Frédéric Chopin und Robert Schumann. Chopins Patriotismus und die Sehnsucht nach seiner Heimat Polen waren eine wichtige Inspirationsquelle für viele seiner Kompositionen. Das gilt wohl auch und besonders für seine "Revolutionsetüde". Diese soll er 1830 voller Wut in Wien geschrieben haben, nachdem er von der blutigen Niederschlagung der polnischen Revolution durch den russischen Zaren erfahren hatte. - Bevor wir über ihn und seine Musik sprechen, hören wir, wie diese Wut bei ihm bzw. bei Claire Huangci, klingt …
Credits:
Bilder © Hist. Museum und Claire Huangci 
Video „Schirm Trailer“ © Anna Engel, Joel Hess
Video „Rundgang“ © Anna Engel, Kathleen Witt
Mitschnitte Veranstaltung © Siegersbuschfilm