Ein Vogelkäfig, der für Geschichte und Geschichten steht, der viel gesehen und erlebt hat und uns heute durch das Erinnern an seine Besitzerin Yvonne Hackenbroch ein Stück jüdische Frankfurter Stadtgeschichte näherbringt.
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Vogelschau auf Frankfurt am Main, 1628

Die 1912 in Frankfurt geborenen Kunsthistorikerin Yvonne Hackenbroch war eine von drei Töchtern des Kunsthändlers Zacharias Max Hackenbroch und Clementine Schwarzschild. Ihre Familie war über Jahrhunderte hinweg seit dem späten Mittelalter in Frankfurt verwurzelt und gehörte der von Rabbi Samson Raphael Hirsch gegründeten Israelitischen Religions gesellschaft an, die das orthodoxe Judentum mit der deutschen Kultur zu verbinden suchte.

Synagoge Friedberger Anlage

Nach dem Abitur studierte Yvonne Hackenbroch Kunstgeschichte in Italien und in München, wo sie 1936 noch ihre Promotion abschließen konnte. 1938, nach dem Tod ihres Vaters, floh sie gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrer jüngeren Schwester nach England. Zu den Habseligkeiten, die sie damals mitnahm, zählte auch ein aus Holz geschnitzter und filigran gearbeiteter Vogelkäfig, der die vergoldeten Initialen „F“ und „C“ trägt, sowie die Jahreszahl 1757 und einen weißen Adler mit einem roten „F“ auf der Brust, das Wappen der Stadt Frankfurt.

Durch ihre Flucht verlor Yvonne Hackenbroch ihre deutsche Staatsbürgerschaft. Es folgten Jahre im Exil und damit in Freiheit. Sie begann als Hilfskraft an einem Museum in London und zog Mitte der 1940er Jahre zuerst nach Toronto und später nach New York, wo sie viele Jahrzehnte lang als Kuratorin am Metropolitan Museum of Art arbeitete. Nach dem Ende des Krieges besuchte sie Ihre frühere Heimatstadt Frankfurt immer mal wieder. Erst spät im Alter zog es sie zurück nach London.

Ein Käfig auf Reisen: 

So haben wir diesen Salon Frankfurt überschrieben und das aus gutem Grund, denn unser Vogelkäfig war viel in der Welt unter wegs und kam dank seiner Besitzerin Yvonne Hackenbroch, die 100 Jahre alt geworden ist, 2013 zurück nach Frankfurt. Es war ihr ausgesprochener Wunsch, dass dieser Käfig als Zeichen der Verbundenheit und der Versöhnung in das hiesige Historische Museum kommt. Wir folgen dem Käfig und begeben uns auf Spurensuche. Diese führt uns bis zurück ins 18. Jahrhundert, in die Frankfurter Judengasse, in der auch Vorfahren von Yvonne Hackenbroch gelebt haben. Sie führt uns in das Milieu der Kunstsammler*innen und Kunsthändler*innen, in ein Milieu bürgerlicher und intellektueller Blüte, das weitverzweigt und fruchtbar war. 

Zacharias Max Hackenbroch

Zacharias Max Hackenbroch hat hier eine wichtige Rolle gespielt. Diese Spurensuche ermöglicht uns einen anderen Blick auf jüdische Stadtgeschichte in Frankfurt,auf die reiche und bereichernde jüdische Kultur, die auch hier massiv
ver drängt und systematisch zerstört wurde und die so größtenteils verloren gegangen ist. Auch indem man Menschen wie die Kunsthistorikerin Yvonne Hackenbroch vom öffentlichen Leben und von einer beruflichen Laufbahn ausgeschlossen hat, sie zur Flucht und zur Emigration ins Exil zwang. Und in dem man nur wenige Jahre später allein in Frankfurt zehntausende Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma wie auch zahlreiche Oppositionelle deportiert und umgebracht hat.

Judengasse, Ostseite

Wir wollen die Zeit, in der Yvonne Hackenbroch und ihre Familie in Frankfurt gelebt haben, im Gespräch mit Anne Gemeinhardt, Kuratorin für Bildung und Vermittlung am Historischen Museum, aber auch mit Hilfe von Verwandten und Bekannten der gebürtigen Frankfurterin, sowie mit Fotografien und bewegten Bildern, lebendig werden lassen. Welche äußerlich erkennbaren Spuren finden sich bis heute in ihrer Geburtsstadt, die an sie erinnern? Welche inneren Spuren haben Flucht und Exil bei der Kunsthistorikerin hinterlassen? Was verband sie mit dem Vogelkäfig, der über so viele Jahrzehnte hinweg ihr Begleiter war, und warum war es ihr so wichtig, dass er nach Frankfurt zurückkommt, wo einst alles begann? So viele Fragen und dabei doch die Gewissheit, dass wir nicht alle werden beantworten können, dass vieles notgedrungen fragmentarisch bleiben wird.
Viele Schriftsteller*innen haben mit zeitlichem Abstand und oft auch aus einer räumlichen Distanz heraus über ihre Heimat und über die Zeit vor und während des Nationalsozialismus geschrieben, die für sie so prägend war. Damit haben sie wichtige Zeugnisse geschaffen, die bis heute nachwirken und das Unvorstellbare in Worte fassen. Unter ihnen sind auch viele Frankfurter*innen, wie Silvia Tennenbaum, Valentin Senger oder Siegfried Kracauer. Sie alle verarbeiten in ihren Romanen ein Stück deutscher Geschichte. Und so nimmt uns der Erzähler Helge Heynold literarisch mit ins jüdische Frankfurt der 1930er und 1940er Jahre und lässt Erfahrungen und Entbehrungen lebendig werden.
Doch was wäre ein Salon Frankfurt ohne passende Musik? Und was bietet sich mit Blick auf einen Vogelkäfig besser an, als Vögel musikalisch zum Leben zu erwecken. Seit Menschengedenken haben Vögel eine große symbolische Bedeutung. Sie gelten als Wanderer zwischen den Welten. Viele Komponist*innen haben sich vom Gesang der Vögel anregen lassen, Vogelstimmen in ihre Musik integriert und schon im Titel ihrer Werke vielfältige Bezüge zu Vögel genommen. Unter ihnen Georg Philipp Telemann, Antonio Vivaldi, Tarquinio Merula oder Jacob van Eyck. Jedoch haben es nur einige wenige Vogelarten geschafft, regelmäßig vorzukommen, unter ihnen natürlich die berühmteste Sängerin unserer einheimischen Vögel, die Nachtigall. Auch sie wird dank der Flötistin Dorothee Oberlinger und ihrem Ensemble 1700 bei uns lebendig. Der Gesang der Vögel wird uns durch den Abend tragen und begleiten und uns mit ganz unterschiedlichen Facetten und Fragen in Berührung bringen. Zum Beispiel, welche besondere Bedeutung Vögel im Judentum haben, wie Museen Erinnerungskultur heute gestalten und welche Rolle dabei ein kleiner Vogelkäfig spielen kann, wenn es darum geht, Geschichte und Geschichten im Hier und Jetzt zu erzählen.

Ein Käfig der für Freiheit steht

Der Vogelkäfig von Yvonne Hackenbroch steht für eine lange Reise, die mutmaßlich einst hier begann, er steht für jüdisches Leben in Frankfurt, das Erinnern an seine Besitzerin und ihre Familie und er steht für ihre Flucht ins Exil und das Leben, das darauf folgte. – Über diese und viele weitere Aspekte habe ich mit der Kuratorin Anne Gemeinhardt vom Historischen Museum Frankfurt gesprochen.

Lyrische Flügelschläge

Rajzel Zychlinski war eine der wichtigsten Dichterinnen der jiddischen Literatur und hat fast das gesamte 20. Jahrhundert mit all seinen Schrecken erlebt. Mehrmals in ihrem Leben musste sie fliehen und im Exil neu anfangen. Vögel gelten als Wanderer zwischen den Welten. – Als solche scheinen sie auch Rajzel Zychlinski fasziniert zu haben. In ihren Gedichten tauchen sie immer wieder auf. 

A sounding Bird Cage – so klingt ein Vogelkäfig bei Georg Philipp Telemann

… der in Frankfurt prägend war wie kaum ein anderer Komponist.
Georg Philipp Telemann ist einer von vielen, die sich vom Gesang der Vögel inspirieren ließen und diese hörbar in ihre Musik integriert haben.
Bei uns wird seine Komposition dank der international bekannten und erfolgreichen Blockflötistin Dorothee Oberlinger und ihrem Ensemble 1700 lebendig.

Wenn ich ein Vöglein wär … Dorothee Oberlinger in ihrem Element

Abschiedslied der Zugvögel

Wir haben keine Heimat mehr...“ lautet eine von Felix Mendelssohn Bartholdy vertonte Verszeile aus Hoffmann von Fallerslebens Gedicht „Abschiedslied der Zugvögel“. Mendelssohn erahnte bei der Komposition vermutlich noch nicht, dass man ihm die Verwurzelung in seiner Heimat Deutschland aus antisemitischen Beweggründen einmal vollständig absprechen würde … 

Lebendiges Erinnern

Fast alle Gebäude, die für die jüdische Gemeinde in Frankfurt von besonderer Bedeutung waren, wurden während der Novemberpogrome 1938 in Brand gesetzt und zerstört. An solche Plätze wird meist mit Gedenktafeln erinnert, aber wie ist das mit den Menschen, die hier einst gelebt und die Stadtkultur geprägt und bereichert haben? 
Ausgehend von Yvonne Hackenbrochs Vogelkäfig habe ich mich auf die Suche begeben.
Ich wollte wissen, welche Orte für sie damals wichtig waren und diese aufsuchen. Da wenig Persönliches über sie bekannt ist, war es mir wichtig, mit Menschen zu sprechen, die sie selbst gekannt haben und ihr nahestanden.
Dank Änne Söll, Professorin für Kunstgeschichte der Moderne an der Ruhr-Universität Bochum und dank Anne Gemeinhardt, hatte ich die Möglichkeit, Kontakt zu Freundinnen und Wegbegleiterinnen, aber auch zu Familienangehörigen von Yvonne Hackenbroch aufzunehmen, die für sie – vor allem während ihrer letzten Lebensjahre in London – wichtig waren …

Zwei die sich was zu zwitschern haben…

Die folgende Komposition stammt von Jakob van Eyck. Er kam 1590 blind auf die Welt und wurde als Blockflötenvirtuose einer der bekanntesten Musiker seiner Zeit. Bei ihm haben jetzt zwei Nachtigallen das Wort. Alle Hobby-Ornitholog*innen wissen, dass nur die Nachtigall-Männchen singen. Sie erlernen ihren Gesang während der frühen Jugend von benachbarten Vögeln und beherrschen zwischen 120 und 260 unterschiedliche Strophentypen, die meistens zwei bis vier Sekunden lang bzw. kurz sind. – Wie das bei Jakob van Eyck bzw. bei Dorothee Oberlinger klingt, das hören wir hier …
Bildnachweise:
Das Bildmaterial wurde uns dankenswerter Weise von Nachkommen von Yvonne Hackenbroch sowie von Prof. Dr. Änne Söll, Ruhr-Universität Bochum, zur Verfügung gestellt.
Vogelkäfig © HMF, Horst Ziegenfusz
Videos „Postkutsche Trailer“, „Lebendiges Erinnern“ © Anna Engel, Joel Hess 
Mitschnitte Veranstaltung © Siegersbuschfilm