Faszination Papiertheater

Haben Sie nach einem Kino oder Theaterbesuch auch schon mal davon geträumt, den attraktiven Schauspieler, die aufregende Schauspielerin von der Leinwand mit nach Hause zu nehmen oder das gesehene Stück im heimischen Wohnzimmer nachzuspielen und weiter zu entwickeln? 

Mit Blick auf das Theater, das vor etwa 150 Jahren noch ziemlich konkurrenzlos war, hat das für viele Menschen genau so funktioniert. Und damals gab es tatsächlich die Möglichkeit, die erlebte Geschichte in den eigenen vier Wänden nicht nur gedanklich weiterzuspinnen: Durch Papiertheater. Sie waren, wenn man so will, die 3D-Spielkonsole eines theaterbegeisterten Bildungsbürgers im 19. Jahrhundert. 
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Zuhause wurden dann die Scheren gezückt, und geschnitten und gebastelt was das Zeug hält. Heraus kamen wunderschöne und filigran gearbeitete Miniaturtheater aus Papier. Ausgestattet mit unterschiedlichen Bühnenbildern und Figuren, die es erlaubten, das gesehene Theaterstück, aber auch Opern und Märchen selbst noch einmal zu inszenieren. Mit verteilten Rollen versteht sich, denn auch wenn es sich um Papierpuppen handelte, waren nicht nur Mädchen und Mütter, sondern ebenso die Väter und Söhne involviert. Besonders beliebt waren damals die angesagten Stücke großer Dichterfürsten. Allen voran Goethe , Lessing, Shakespeare und Schiller. 
Die Idee hinter dieser künstlerischen Auseinandersetzung liegt auf der Hand: Mit ihr verband sich die Vorstellung, so dazu beizutragen, dass sich der Nachwuchs kulturell bildete. Auf diese Weise grenzte sich das Bildungsbürgertum klar von anderen gesellschaftlichen Gruppen ab. Das war auch in Frankfurt so, wo es schon früh ein gebildetes und engagiertes Bürgertum gab. Eine Bürgerschaft, die sich nicht nur allgemein für Kultur interessierte, sondern diese auch im Alltag zu schätzen und zu pflegen wusste. 
Einer von ihnen war der Frankfurter Bauunternehmer und Architekt Johann Georg Kugler, der 1885 das Frankfurter Opernhaus für seine Tochter Maria aus Papier nachbaute. Deutlich erkennbar an dem berühmten Sinnspruch „Dem Wahren Schönen Guten“, den Skulpturen sowie der Pegasus-Plastik auf dem Hauptgiebel.

Das Miniatur-Opernhaus von Johann Georg Kugler ist eines der eindrucksvollsten und schönsten Papiertheater

Dieses papierne Schmuckstück ist bis heute faszinierend und mit einer Höhe von knapp zwei Metern auch räumlich imposant. Zu bestaunen ist es im Historischen Museum Frankfurt. Dort wird auf eindrucksvolle Weise deutlich, was mit viel Liebe zum Detail, einer ruhigen Hand und viel Fingerspitzengefühl in der Papierkunst möglich war und ist. 
Untrennbar verbunden mit Kuglers Geschenk der Extra- Klasse, ist das große Vorbild im Original, das wie Museen, Theater- und Konzerthäuser durch private Spenden finanziert wurde und nur so überhaupt realisiert werden konnte. 

Der von knapp 70 Bürgerfamilien initiierte und teilfinanzierte Bau des Frankfurter Opernhauses sollte eigentlich das zu klein gewordene Stadttheater ersetzen. Es wurde jedoch zu einem reinen Opernhaus, in dem viele Ur- und Erstaufführungen stattfanden. 
Zu sehen und zu hören gab es an jenem Eröffnungsabend am 20. Oktober 1880 die berühmte Oper „Don Giovanni“ von Wolfgang Amadeus Mozart. Die Aufführung und der neue Bau aus elfenbeinfarbigem Stein aus Frankreich wurden damals von einem begeisterten Publikum frenetisch gefeiert. Die Euphorie übertrug sich auf weite Teile der Gesellschaft und fand auch im Papiertheater große und kleine Nachahmer.

Nach der Bombardierung 1944 blieb das Opernhaus jahrzehntelang als Ruine stehen. 

Seit 40 Jahren und bis heute ist das Haus nun als Alte Oper bekannt und als offenes Konzerthaus etabliert.

In unserem Salon Frankfurt reisen wir in der Zeit zurück zu jenem aufregenden Eröffnungsabend im Oktober 1880 und hören Sängerinnen und Sänger des Opernstudios der Oper Frankfurt mit Arien, Duetten und Ensembles aus Mozarts Oper „Don Giovanni“.  

Dank des Vorlesers Helge Heynold begegnen wir auf unserer Zeitreise auch Goethe, Shakespeare, Mörike und Flaubert, die durch ihre Auseinandersetzung mit dem Theater und durch ihre Texte, die sie hinterlassen haben, wieder lebendig werden. 

Welche Rolle spielte das Opernhaus Ende des 19. Jahrhunderts in Frankfurt und wie groß war seine Strahlkraft über die Stadtgrenzen hinaus? Wie ist die besondere Kulturlust der Frankfurter Bürgerschaft zu erklären und was verdanken wir ihr heute? Darum wird es im Gespräch mit der Kuratorin Dr. Nina Gorgus vom Historischen Museum Frankfurt gehen. 

Den Blick auf das Hier und Jetzt sowie nach vorn richten wir gemeinsam mit dem Wiesbadener Sänger Alexander Spemann. Er gehört zur aktiven Fangemeinde des Papiertheaters, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, nicht nur zu sammeln und zu archivieren, sondern auch selbst mit großer Leidenschaft Papiertheater zu bauen und zu bespielen. 

Für Groß und Klein soll es eine Freude sein. Davon überzeugen können wir uns im Salon Frankfurt, wenn Alexander Spemann in seinem selbst gebauten Papiertheater eine Szene aus Mozarts „Don Giovanni“ und eine Ballade von Goethe zum Besten gibt. 

„Kleine Bühne aus Papier, auf der sich die technische Vielfalt einer Menschenbühne in modellmäßiger Form nachahmen oder erproben lässt.“

Walter Röhler
Menschen wie ihm ist es zu verdanken, dass wir noch immer auch und gerade in Hessen nachvollziehen können, um welchen historischen Schatz es sich hier handelt. Möglich ist das neben der Papiertheatersammlung von Walter Röhler in Darmstadt zum Beispiel auch im Papiertheatermuseum Hanau.

In Deutschland hat das Papiertheater eine gut 200-jährige Tradition.

Seit den 1980er Jahren erfährt das Papiertheater eine Renaissance. So gibt es heute eine lebendige Szene in Deutschland und in Europa, die sich für das Papiertheater stark macht. Sie bewahrt das Andenken an die theatralen Kunstwerke in Miniaturformat von damals und halten den Traum von den Brettern oder eben Bilderbögen, die für viele die Welt bedeuten, mit alten Klassikern aber auch modernen Stoffen im Heute lebendig.  

Die Liebe zum Detail

Zu Gast in diesem Salon ist Nina Gorgus, sie ist Kulturwissenschaftlerin und Kuratorin am Historischen Museum Frankfurt und dort für die Bereiche „Alltagskultur“ und „Spielzeug“ zuständig. Das heißt das fast 2 Meter hohe Papiertheater von Johann Georg Kugler gehört zu ihrer „Spielwiese“. – Was für ein Geschenk!

Großer Goethe auf kleiner Bühne

Eine Ballade von Goethe in Szene gesetzt von Sänger und Papiertheaterspieler Alexander Spemann.
Goethe selbst besaß ein – wenn auch anderes - Puppentheater aus Holz und war von seinem Spiel damit so fasziniert, dass es sein Schreiben geprägt hat, wie wir in seinem Buch „Dichtung und Wahrheit“ nachlesen können. 
Damit wird deutlich, dass das Spiel mit Puppen, Marionetten- und Papiertheatern damals längst nicht nur etwas für Mädchen war, sondern auch viele Väter und Söhne sich dafür begeistert haben.

Bretter die die Welt bedeuten

Wenn der professionelle Sänger Alexander Spemann nicht gerade in seinem Keller an einer neuen Miniaturbühne aus Papier bastelt und neue Stücke probt, dann steht er mit seinem Papiertheater auf der Bühne und begeistert Land auf Land ab kleine und große Zuschauer.

Er kann es einfach nicht lassen …

Don Giovanni sucht hier die Näher zur jungen Bäuerin Zerlina, die im Begriff ist, den Bauern Masetto zu heiraten. - Don Giovanni aber zieht einmal mehr alle Register und versucht Zerlina sogar mit einem Heiratsversprechen gefügig zu machen.
E.T.A. Hoffmann bezeichnete Mozarts „Don Giovanni“ einst als die „Oper aller Opern“. – Fest steht, sie gehört zu seinen wichtigsten Werken und wird bis heute weltweit aufgeführt. – Interessant ist darüber hinaus, dass das Phänomen und die Legende „Don Giovanni“ seit Jahrhunderten existieren und bis heute inspirieren. 
Seit Mitte des 17. Jahrhundert und bis heute gilt Don Giovanni als Urbild des skrupellosen Verführers, dem nichts und niemand heilig ist. Als solcher ist er in die europäische Kulturgeschichte eingegangen und prägt bis heute auf vielfältigste Weise Literatur, Musik, Theater und Film.

Das Opernhaus ist eröffnet

Mit Auszügen aus Mozarts Oper „Don Giovanni“ reisen wir musikalisch immer wieder zurück an jenen 20.Oktober 1880, als das Frankfurter Opernhaus feierlich eröffnet wurde.

100 Jahre lebendiges Erinnern

Da mir das genaue Erinnern leider oft schwerfällt, bewundere ich Menschen, die vieles noch ganz klar vor Augen haben: Ernst Gerhardt ist so jemand. – Er hat in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert, war früher u.a. Stadtkämmerer in Frankfurt und zählt bis heute zu den treuesten Besuchern und größten Bewunderern der Alten Oper. – Ich habe ihn bei sich zuhause besucht und nach seinen Erinnerungen an das frühe Frankfurter Opernhaus gefragt. 
Bildnachweise:
Papiertheater © HMF, Horst Ziegenfusz; Video „Faszination Papiertheater“ © Anna Engel, Joel Hess; Mitschnitte Veranstaltung © Siegersbuschfilm